Ringsum noch immer tiefe Nacht:
So früh ist dieser Morgen;
In grenzenloser Lichterpracht
Hält der gestirnte Himmel Wacht,
In Träumen ruht die Erde sacht
(Sie weiß nichts von der Osternacht),
Im Psalmenvers geborgen.
Ringsum noch immer tiefe Nacht:
So früh, dass Welten schweigen,
Solang die Ewigkeit bewacht
Den Platz, die Kreuzung, Dach um Dach;
Noch tausend Jahre – und die Macht
Des Lichtes wird sich zeigen.
Noch ist die Erde kahl und tot,
Lässt keine Glocken klingen;
Die ganze Nacht galt das Verbot,
Ein frohes Lied zu singen.
Am Donnerstag brach er das Brot …
Noch bis zum Samstagabend
Zerspringt die Flut in ihrer Not,
Am Ufer ruhlos grabend.
Die Wälder sind noch nackt und kahl,
Bezeugen Christi Leiden,
Wie Betende in großer Zahl
Stehn Kiefern in den Weiten.
Und in der Stadt, auf engem Raum
Versammeln sich Gesichter:
Stumm blickt durchs Fenster Baum um Baum
In helle Kerzenlichter.
Die Bäume stehen angstgequält,
Und groß ist ihre Klage,
Denn alle Zäune sind gefällt,
Es schwankt die Ordnung dieser Welt:
Heut trägt man Gott zu Grabe.
Sind schemenhaft dort drinnen nicht
Das dunkle Tuch, das Kerzenlicht,
Die Trauernden zu sehen?
Still treten aus der Tiefe vor,
Die um Erbarmen flehen,
So dass die Birken vor dem Tor
Beschämt zur Seite gehen.
Die Trauernden, im Leid vereint,
Ziehn um den Hof benommen;
Sie nehmen in die Gruft hinein
Die Freude und den Sonnenschein,
Den leichten Duft nach Brot und Wein
Und alle Frühlingswonnen.
Mit Schnee bewirft der März im Spiel
Die Kranken auf dem Hof gezielt,
Und jemand öffnet im Gewühl
Den Schrein, so segensreich gefüllt,
Um alles zu verschenken.
Am Morgen schweigt der Chor noch nicht;
In ihrer Trauer lenken
Die Schritte ins Laternenlicht
Vereint Apostel und Psalmist,
Um wortlos zu gedenken.
Was lebt, verstummt um Mitternacht,
Von Frühlingsduft umgeben;
So warte, warte, halte Wacht:
Bezwungen ist die Todesmacht,
Und neu ersteht das Leben.
Boris Pasternak
Übersetzt von Christine Fischer
In: Boris Pasternak: Wenn es aufklart. Werkausgabe Band 3: Gedichte, Erzählungen, Briefe. Hrsg. von Christine Fischer, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2017, S. 13-16.