Magdalena

Warum

Schon zum Fest gerüstet sind die Leute,
Ich bin ausgeschlossen, bin allein,
Deine reinen Füße salb ich heute
Nur mit Myrrhe und mit Spezerein.

Nirgends finde ich für Dich Sandalen,
Und vom Weinen seh ich nicht mehr klar.
Schleiergleich ist vors Gesicht gefallen
Mir das lange, aufgelöste Haar.

Jesus, ich umfange Deine Füße
Und benetze sie mit meinem Leid;
Fühlst Du nicht die heißen Perlen fließen?
Sei umhüllt von meinem Haar und Kleid.

In die Zukunft sehen darf ich heute,
Die Du für mich anzuhalten weißt;
Prophezeien kann ich, kann verstehen,
Bin erfüllt von der Sybille Geist.

Morgen werden alle es erleben,
Wie der Vorhang reißt, des Tempels Zier,
Wie die Erde anfängt zu erbeben,
Weil sie Mitleid fühlen wird mit mir.

Nur Soldaten werden Dich begleiten,
Schon hat sich formiert das Reiterkorps.
Wie ein Windstoß in die Himmelsweiten
Ragt hoch über uns das Kreuz empor.

Nieder falle ich an seinem Ende,
Hilflos, wundgebissen schweigt mein Mund.
Ausgebreitet hast Du Deine Hände
Für die Welt in Deiner Todesstund.

Wer auf Erden könnte Deiner Größe,
Könnte Deines Opfers würdig sein?
Willst Du jedes Menschenkind erlösen,
Alle Dörfer, jeden Fluss und Hain?

Doch drei Tage müssen erst vergehen,
Ohne Sinn und voller Ungemach,
Daran wachsend werde ich verstehen,
Deine Auferstehung kommt – danach.

 

Boris Pasternak

Übersetzt von Christine Fischer

In: Boris Pasternak: Wenn es aufklart. Werkausgabe Band 3: Gedichte, Erzählungen, Briefe. Hrsg. von Christine Fischer, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2017, S. 62 f.