Contra spem spero

Fort, Gedanken, ihr herbstlichen Wolken!
Seht, der goldene Frühling beginnt.
Wird auf Klage nur Kümmernis folgen,
Jahr um Jahr, bis die Jugend verrinnt?

Unter Tränen zum Lächeln mich zwingend,
Will ich singen am dunkelsten Ort,
Hoffnungslos soll mir Hoffnung gelingen –
Leben will ich! Fort, Traurigkeit, fort!

In die kargen, die darbenden Wiesen
Setz ich Blumen, vom Frosthauch umtost;
Mit der bittersten Tränenflut gießen
Will ich sie – bis sie blühen zum Trost.

Auch das kälteste Schneefeld wird tauen,
Wenn der Panzer des Eises zerbricht;
Bunte Blüten entstehn, und vertrauen
Will dem heiteren Frühling auch ich.

Auf den Berg hab ich Steine zu tragen,
Ich muss Elend erleiden noch lang;
Doch an schrecklichen, finsteren Tagen
Soll mein Lied fröhlich klingen, nicht bang.

Vor der Dunkelheit werd ich bestehen,
Ausschau haltend im lichtlosen Heim,
Um die Nacht überwunden zu sehen,
Wenn ein leuchtender Stern mir erscheint.

Ja! Durch Tränen zum Lächeln mich zwingend,
Werd ich singen am dunkelsten Ort,
Hoffnungslos wird mir Hoffnung gelingen –
Leben werde ich! Traurigkeit, fort!

 

Lesja Ukrajinka

Übersetzt von Christine Fischer

 

Auch in: NZZ am Sonntag, Bücher am Sonntag, 25.06.2023, S. 18.

 

Ich biete Ihnen soziale Unterstützung an

Für ältere Menschen und Menschen mit Behinderung, die weiterhin selbstbestimmt in ihrem eigenen Zuhause leben möchten, biete ich auf selbstständiger Basis vielfältige soziale Unterstützung an, die sich an der individuellen Situation der jeweiligen Person und deren Lebenskonzept ausrichtet.

Grundlage meiner Arbeit ist eine innere Haltung der Achtung und Wertschätzung gegenüber dem Menschen, den ich unterstütze. Ziel ist es, diesen Menschen nach seinen eigenen, ganz besonderen Möglichkeiten und Fähigkeiten und fordern und zu fördern.

Zur praktischen sozialen Unterstützung kann z.B. gehören:

♦ Zuwendung und Gespräche in Ruhe, ohne Zeitdruck

♦ Hilfestellung in der Strukturierung und Bewältigung des Alltags (Essen, Einkaufen usw.)

♦ Begleitung zu Terminen (z.B. Arztbesuche)

♦ Freizeitgestaltung (gemeinsames Spazierengehen, Begleitung zu Veranstaltungen usw.)

♦ Förderung von Hobbys (z.B. Vorlesen, Musik, Bilder, Spiele, Handarbeiten…)

♦ Aktivierung mentaler Ressourcen (Erinnerungsarbeit, Erzählen und Zuhören)

♦ Entlastung bei Sorgen und Problemen (Trauer, Ängste, Einsamkeit usw.)

♦ Erhaltung und Förderung sozialer Kontakte (z.B. Freunde, Verwandte, Nachbarn)

♦ ggf. Vermittlung weiterführender Betreuungs- und Hilfsangebote (je nach Bedarf)

 

 

 

Im Krankenhaus

Die Leute umstanden den Wagen,
Versperrten den Weg immer mehr.
Ich wurde ins Auto getragen,
Ein Ersthelfer sprang hinterher.

Der Rettungsdienst raste vorüber
An Gaffern, Portalen der Stadt,
An Straßen, belebt wie im Fieber,
Und tauchte ins Dunkel der Nacht.

Der Weg, Polizei und Gestalten
Erschienen im Lichtkegel weiß.
Kaum konnte die Pflegerin halten
Das Fläschchen mit Salmiakgeist.

Im Eingangsraum floss ohne Eile,
Voll Wehmut der Regen durchs Rohr.
Sie arbeiteten Zeile für Zeile
Im Aufnahmebogen sich vor.

Zur Tür wurde er hingeschoben;
Die Klinik war überbelegt.
Nach Jod roch es stechend von oben,
Und Kälte drang ein unentwegt.

Das Viereck des Fensters umsäumte
Vom Garten, vom Himmel ein Stück.
An Böden und Kittel und Räume
Gewöhnte der Neuling den Blick.

Die Schwester kam, stellte ihm Fragen
Und wiegte den Kopf unbestimmt.
Was immer sie tun und ihm sagen –
Er spürte: sein Leben verrinnt.

Da sah er, vor Dankbarkeit trunken,
Ganz nah vor dem Fenster die Wand,
Erleuchtet von tanzenden Funken,
In loderndem Feuer entflammt.

Rotglühend erstrahlten die Schranken;
Es sandte, vom Lichtschein erfasst,
Der Ahorn ihm Abschiedsgedanken
Und winkte mit knorrigem Ast.

„O Herr – was Du schufst, ist vollendet“,
Sprach leise der Kranke zu Gott.
„Die Betten und Menschen, die Wände,
Die nächtliche Stadt und der Tod.

Ein Schlafmittel musste ich nehmen,
Doch weine ich, zerre am Stoff.
O Herr, durch Erregung und Tränen
Hab Dich ich zu finden gehofft…

Ich seh einen Lichtschimmer schweben,
Der kaum auf dem Lager verweilt,
Erkenne mich selbst und mein Leben
Als Reichtum, von Dir zugeteilt.

Im Krankenhaus muss ich verscheiden,
Ich fühle die Glut Deiner Hand;
Für Dich bin ich Ring und Geschmeide,
Du bettest mich tief in den Samt.“

 

Boris Pasternak

Übersetzt von Christine Fischer

In: Boris Pasternak: Wenn es aufklart. Werkausgabe Band 3: Gedichte, Erzählungen, Briefe. Hrsg. von Christine Fischer, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2017, S. 114-116.

 

DU LEBST IN MEINER KLAGE … (Resümee des Vortrags)

 

PD Dr. Christine Fischer

„Du lebst in meiner Klage…“
Sterben, Tod und Trauer in der europäischen Literatur

(Vortrag auf dem 12. Mittelfränkischen Hospiztag am 23.11.2013 in Bad Windsheim                        und am 3.10.2014 für den Hospizverein Neustadt/Aisch im Kloster Schwarzenberg)
 

Zusammenfassung

Sterben, Tod und Trauer sind Schlüsselthema und Herausforderung für Literatur und Kunst zugleich – geht es doch darum, das Unsagbare, ja das Unvorstellbare auszudrücken und vorstellbar zu machen. Wir wissen um unsere Endlichkeit, können sie aber nicht „denken“ oder in irgendeiner Weise in Sprache oder Bildern „fassen“.
Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist daher auch und gerade in Literatur und Kunst zunächst ein höchst individuelles Unterfangen, das doch nach dem Eingebundensein in ein größeres Ganzes strebt. Aus diesem Grund wird zum einen in der Forschung diskutiert, inwieweit Sichtweisen von Sterben, Tod und Trauer kulturgebunden sind; so lassen sich etwa die fünf kulturell vorgeprägten Grundtypen der Negierung, Akzeptanz und Ablehnung des Todes, der Gewöhnung an ihn sowie der Todessehnsucht definieren (Kunt/Nyjkes 1986, 46).
Zum anderen stellt sich die Frage, ob es nicht in Literatur und Kunst dennoch auch archetypische, kulturübergreifende Bilder für Sterben, Tod und Trauer gibt, zumal gerade die Literatur „ein Ort des Totengedenkens“ (Horn 1998, 7) und der lebendig gehaltenen Erinnerung ist. Kunst richtet sich seit alters her wider das Vergessen und wider die Vergänglichkeit. Sie versucht der Endlichkeit des Menschen etwas Bleibendes, Beständiges, Unvergängliches entgegenzusetzen. Dies ist eine ihrer zentralen Aufgaben und steht im Mittelpunkt ihres Selbstverständnisses – unabhängig von Kunstgattung und Epoche. Zu den wesentlichen Symbolen für Abschied, Tod und Trauer gehören Schlaf und Traum, die Schifffahrt als Lebensreise (Frank 1979, 36 f.), die Zeit der Ernte, Abend und Nacht (Macho 1987, 382). Gerade die navigatio vitae, die „Schifffahrt des Lebens“, hat beispielsweise Caspar David Friedrich in seinen Bildern Das Eismeer. Die verunglückte Hoffnung und Die Lebensstufen in den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts gestaltet.
Epochenübergreifende Bedeutung für die Literatur hat der „Traum als somnia prophetica“ (Macho 1987, 259): Im Traum, der die Grenzen von Raum und Zeit zu überschreiten vermag, ist Kommunikation mit dem Verstorbenen noch oder wieder möglich. Beispiele finden sich, neben vielen anderen, im ausgehenden Mittelalter bei Petrarca (Canzoniere Nr. CCLXXIX) oder in der Moderne bei Anna Achmatova: „War dieser Traum prophetisch oder dunkel … / Der Mars erstrahlte mir als hellster Stern, / Am Himmel stand er drohend, rötlich funkelnd – / Ich träumte jene Nacht, du kämst von fern. // […]“ (Achmatova 1998, 129).
Als Allegorie des trauernden Dichters-Sängers gilt insbesondere Orpheus; von der griechischen Antike bis in die Moderne wurde dieser Mythos sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur immer wieder gestaltet, im frühen 20. Jahrhundert etwa von Rodin und Rilke (vgl. insbesondere die Ballade Orpheus. Eurydike. Hermes).
Während im Orpheus-Mythos die Überwindung des Todes durch die beschwörende Macht der Kunst und vor allem des Gesangs zumindest potenziell noch möglich erscheint (Horn 1998, 88), ist der romantische Totenkult von tiefer Melancholie und dem Bewusstsein der Unumkehrbarkeit geprägt. Diese Sichtweise charakterisiert auch die über 400 Kindertotenlieder, die der Lyriker und Orientalist Friedrich Rückert nach dem Tod seiner Kinder Luise und Ernst schrieb, die um den Jahreswechsel 1833/34 im Kleinkindalter gestorben waren. Fünf Lieder wurden ab 1901 von Gustav Mahler vertont. Das Bewusstsein der Endgültigkeit und Unumkehrbarkeit des Todes schließt indessen in den Kindertotenliedern die Hoffnung auf ein Wiedersehen nicht aus: „[…] // Sie sind uns nur voraus gegangen, / Und werden nicht hier nach Haus verlangen; / Wir holen sie ein auf jenen Höhn / Im Sonnenschein, der Tag ist schön.“ (Rückert 1988, 410)
In einem anderen Kindertotenlied wird die trostspendende Macht der Erinnerung thematisiert: „Du bist ein Schatten am Tage / Und in der Nacht ein Licht; / Du lebst in meiner Klage / Und stirbst im Herzen nicht. // Wo ich mein Zelt aufschlage, / Da wohnst du bei mir dicht; / Du bist mein Schatten am Tage / Und in der Nacht mein Licht. // […]“ (Rückert 1988, 59).
Annemarie Schimmel hat auf die nur scheinbare Kunstlosigkeit dieses Gedichts hingewiesen (Schimmel 1987, 124 f.). Aus einem Schatten wird mein Schatten, aus einem Licht – mein Licht. Schließlich steht die Erinnerung als Licht in der Nacht sogar dem Schatten am Tage diametral und tröstlich gegenüber. Und nicht zuletzt verleiht die Klage – meine Klage – der Trauer eine Stimme: Totenklage ist Lebensäußerung, ist lebendig gehaltene Erinnerung.

Zitierte Literatur:
Achmatova, Anna: Anno Domini. Gedichte. Russisch-deutsch, übertragen von Christine Fischer, Jena 1998.
Frank, Manfred: Die unendliche Fahrt. Ein Motiv und sein Text, Frankfurt a.M. 1979.
Horn, Eva: Trauer schreiben. Die Toten im Text der Goethezeit, München 1998.
Kunt, Ernö/Nyikes, Mária: „Tod – Gesellschaft – Kultur“. In: Sterben und Tod. Eine kulturvergleichende Analyse. Verhandlungen der VII. Internationalen Fachkonferenz Ethnomedizin in Heidelberg, 5.-8.4.1984. Hrsg. im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin von Dorothea Sich, Horst H. Figge und Paul Hinderling. Mit einem Vorwort von Christian von Ferber, Braunschweig/Wiesbaden 1986, S. 45-58.
Macho, Thomas H.: Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung, Frankfurt a.M. 1987.
Rückert, Friedrich: Kindertodtenlieder. Mit einer Einleitung neu herausgegeben von Hans Wollschläger, Nördlingen 1988.
Schimmel, Annemarie: Friedrich Rückert. Lebensbild und Einführung in sein Werk, Freiburg i. Br. 1987.

Nach und nach ziehn wir

Nach und nach ziehn wir auf unsre WeiseFlamingos
In ein Land, so still und segensreich.
Bald vielleicht kommt meine eigne Reise:
Was ich habe, ordne ich sogleich.

Meine lieben Birken, meine Wälder!
Erde du! Gefilde, karg und weit!
Viel zu viele gehen; und ich selber
Weiß nicht mehr, wohin mit meinem Leid.

Allem galt auf Erden meine Liebe,
Was die Seele hüllt in Fleisch und Blut.
Fächergleiche Espen, lebt in Frieden,
Hingeneigt zur roten Abendflut!

Manchem sann ich nach für mich im Stillen,
Manches Lied schrieb ich mir selber auch;
Auf der Welt, die arm ist an Gefühlen,
War mir Glück der eigne Lebenshauch.

Glück war, Frauen sorglos zu verführen,
Tief im Gras, in Blüten ungezählt.
Unsere Geschwister sind die Tiere,
Niemals wurde eins durch mich gequält.

Doch ich weiß, dass Bäume dort nicht blühen
Und des Roggens Schwanenhals nicht singt.
Deshalb fühl ich, wenn die Scharen ziehen,
Wie ein Schauder mir das Herz durchdringt.

Denn ich weiß, dass dort, in jener Ferne,
Keine goldne Flur die Nacht zerteilt.
Deshalb hab ich jeden Menschen gerne,
Der auf Erden lebt zu meiner Zeit.

 

Sergej Esenin

Übersetzt von Christine Fischer

Es sprach der goldne Birkenhain zu Ende

Verstreutes Laub

Es sprach der goldne Birkenhain zu Ende
Sein letztes heitres, unbeschwertes Wort;
Die Kraniche, die sich zum Abflug wenden,
Ziehn ohne ein Bedauern von uns fort.

Bedauern – wen? Wir gehen, wie wir kamen,
Wir gehn vorbei, hinein, ziehn weiter gleich …
Von jenen träumt der Hanf, die Abschied nahmen;
Das Mondlicht leuchtet über blauem Teich.

Ich steh allein auf Fluren, karg und eben,
Der Kranichzug fliegt mit dem Wind so weit;
Ich denk an meine Jugendzeit voll Leben,
Doch was vergangen ist, tut mir nicht leid:

Nicht all die Jahre, ohne Sinn vergeudet,
Nicht meiner Seele fliederbunter Traum.
Der Brand der Eberesche lodert heute,
Doch wärmt uns Menschen dieses Feuer kaum.

Kein Schaden droht uns von den Eschenzweigen,
Und das vergilbte Gras verkümmert nicht;
Der Baum verstreut sein Blattwerk still und schweigend –
Wie ich die Wörter, trauervoll und schlicht.

Und trägt der Wind der Zeit, der alles wendet,
Das Laub zu einem großen Haufen fort,
So sagt: Es sprach der goldne Hain zu Ende
Sein birkenzartes, sein geliebtes Wort.

 

Sergej Esenin

Übersetzt von Christine Fischer